[Pressemitteilung] Fehlender günstiger Wohnraum in der Innenstadt — ein soziales Problem für finanziell benachteiligte

Auch was die Wohnsituation betrifft, zeigt sich — zumindest in Ansätzen — eine Zweiklassengesellschaft. Innenstadtnahe WGs in schicken Altbauvierteln, wie dem Kreuzviertel sind für viele Studierende unerschwinglich. Sie weichen in die günstigsten Studentenwohnheime am Stadtrand aus — die es glücklicherweise noch gibt. Gleichwohl muss auch in der Innenstadt günstiger und gemütlicher Wohnraum erhalten werden bzw. ausgebaut werden. Einige junge Leute haben sich den noch vorhanden und nun leider abgerissenen Wohnraum in der Grevener Straße temporär angeeignet, um dort vor einige Wochen ein Modell selbstbestimmten Wohnens vorzuleben. Die politische Auseinandersetzung um preisgünstigen Wohnraum in Innenstadtnähe — auch für finanziell schwächere Studierende  bleibt auf jeden aktuell.

 

Eine Hausbesetzung in Münster schlägt künstlerische Wellen und findet ein positives Echo in der städtischen Öffentlichkeit

 

Anlässlich der polizeilichen Räumung einer ungewöhnlich kreativen und hochreflektierten Hausbesetzung am 26.03, die viel Sympathie aus der münsterschen Bevölkerung erfuhr, veröffentlichen wir ein Gespräch, welches Tobias Fabinger mit Künstlern und Hausbesetzern führte. Mit der Räumung endet eine Hausbesetzung, die zugleich zum Gesamtkunstwerk wurde: Vom 15.1. bis zum 15.02 konnten die Münsteraner auf einer Kunstausstellung eine “lebende Skulptur” besichtigen.

 

Dem Künstlerduo Jae Paes aus Münster und den von ihnen in eine Skulpturenausstellung eingeladenen Hausbesetzern war etwas außergewöhnliches gelungen. Sie haben eine in Münster stattfindende Hausbesetzung und verschiedenste politische Botschaften der Hausbesetzer an ein breites bürgerliches Publikum herangetragen. Die anarchistisch orientierte Hausbesetzerszene hat so ihre relative Isolation in der linken Szene bzw. in einer linken Subkultur durchbrochen und sich gleichsam  in Form einer künstlerischen Öffentlichkeit “verallgemeinert”. Wie ist Ihnen das gelungen? Nach eigenen Worten und etwas bescheiden haben die Künstler von Jae Pas eigentlich „gar nicht viel gemacht“. Sie haben einen Teil ihrer künstlerischen Autonomie abgegeben und die Hausbesetzer in die Stadthausgalerie in der Münsteraner Innenstadt eingeladen, dort für etwa einen Monat zu wohnen. Dies musste zu Irritationen beim kunstinteressierten aber eher konservativen Publikum der katholisch geprägten Domstadt führen. Diese Irritationen waren aber insgesamt produktiv, wie die HausbesetzerInnen berichten. Verwundert stellten einige BesucherInnen der Skulpturenausstellung fest, dass es sich bei den HausbesetzerInnen um „ganz normale Menschen“ handelte. Viele Vorurteile gegenüber der linken Hausbesetzerszene konnten hier mit aufgelöst werden, wie die zumeist eher jugendlichen Besetzer bemerken. Um die Autonome Skulptur herum entstanden immer mehr spontane Initiativen, Vorträge und Filmvorführungen über interessante soziale Projekte in anderen Teilen der Welt. All dies wurde von verschiedenen Bürgern selbst organisiert und nicht langfristig vorbereitet. Einen Prozess, den die Künstler zwar eingeplant haben, aber in den sie nicht steuernd eingriffen. Die Autonome Skulptur bewegte sich somit am Schnittpunkt von Kunst, Politik und Öffentlichkeit und könnte als Vorbild für eine zugleich ästhetische und politische Belebung des öffentlichen Raumes dienen. Der folgende Text ist eine Interpretation der Autonomen Skulptur — und eine Skulptur, welche aus lebendigen Menschen besteht, interpretiert man am besten, in dem man mit diesen Menschen in einen Dialog tritt. So entstand ein interessantes Gespräch über Kunst, Politik und Kapitalismus, welches im Folgenden wenigstens teilweise wiedergegeben wird. Einige meiner Deutungen sind zusätzlich hineingeben. Doch zunächst eine Hintergründe.

Was wollen die Hausbesetzer? Wer sind Jae Pas?

Seit Anfang Januar war das Haus in der Grevener Straße 53 in Münster besetzt. Es ist Teil einer Häuserzeile, die der städtischen Wohn- und Stadtbau gehört und die  großräumige und gemütliche Altbauten bietet. In der Grevener Straße 53 befand sich ein alternatives Soziales Zentrum. Aus Sanierungsgründen soll der Altbau abgerissen werden und durch Neubauten ersetzt werden.  Diese sollen zwar sozialen Wohnraum enthalten, aber die günstige Wohnfläche schrumpft insgesamt auf etwa die Hälfte.  Die Hausbesetzer erheben allgemeine politische Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum in Innenstadtnähe und stellen sich auch gegen Phänomene wie die Abwanderung finanziell schwacher Bevölkerungsteile an den Stadtrand, die sogenannte Gentrifizierung. Die Hausbesetzer bearbeiten also einen für unsere Gesellschaft zentralen sozialen Konflikt in Form einer politischen Arbeit. Das passt gut zusammen. Jae Paes machen dasselbe — in künstlerischer Form. Jae Paes – das sind Andreas Ernste (jae) und Pascal André Stücher (pas). Anfang 2009 erhielten sie den wichtigsten Kunstpreis des Kosovo, zuvor taten sie sich schon mit dem Versenken einer Aaseekugel anlässlich der Einführung von Studiengebühren oder mit einem Hausbau auf dem Prinzipalmarkt zum Tage des Flüchtlings hervor. Also zwei Künstler, die für gesellschaftliche Veränderungsprozesse und soziale Ungleichheiten sensibel sind. Wenn es sowas wie einen künstlerischen Ansatz bei Ihnen geben sollte, so wäre dies vielleicht eine sozialkritische Postmoderne, um einmal eine Einordnung zu wagen, und eben damit passen Sie gut zu ihrem politischen Komplementär, den Hausbesetzern. Als nun der Kunstverein Schanze zu seinem 90jährigen Bestehen die Skulpturenaustellung unter Beteiligung von JaePas ins Lebens rief, luden diese kurzerhand die Hausbesetzer als lebende Skulptur ein, die mit Sofas, einem Küchen- und Wohnbereich und zum größten Teil mit klassisch-anarchistischem Schwarz bekleidet, in die Stadthausgalerie einzogen.

Keine „große Erzählung – dafür Begegnung verschiedener sozialer Millieus

Es ist der Autonomen Skulptur in ihrer Offenheit und Prozessheftigkeit anzumerken, dass sie ganz im Sinne der Postmoderne auf die „große Erzählung“ der gesamtgesellschaftlichen Emanzipation verzichtet. Eine größere gesellschaftsverändernde Perspektive, wie etwa eine an Marx orientierete Reflexion der Eigentumsverhältnisse ist nicht unbedingt die Sache der Hausbesetzer. Ihrem eigenen Selbstverständnis nach sind sie kapitalismuskritisch, doch nicht unbedingt im Sinne der “universellen Emanzipationskonzepte” in Marx’scher Tradition, die ja auch in der politischen Linken nicht mehr unbefragt als Orientierung dienen. 
“Theorie, die nicht praktisch wird, delegitimiert sich”, sagt eine der Hausbesetzerinnen und setzt damit im Grunde einen Kontrapunkt zu Adornos Diktum, dass Theorie Praxis würde, indem sie Theorie bleibt. Es geht den HausbesetzerInnen um die Gestaltung der sozialen Verhältnisse, aus ihrer Perspektive und im hier und jetzt. Während des Gesprächs fällt das Stichwort „Konstruktivismus“, das eine der Hausbesetzerinnen anführt. Damit ist ein anderer als der klassische linken Bezugspunkt gesetzt, der von einem historischen Wahrheitsgehaltes der gesamtgesellschaftlichen Befreiung ausgeht, welche in ihrer grundrichtung abstrakt und durch Theorie bestimmt werden kann.  Gegenüber der “bestimmten Negation”, die das Marx’sche Denken gegenüber dem Kapitalismus darstellt, hat Kunst seit jeher einen Vorteil, aber auch einen Nachteil. Ihr Vorteil ist, dass sie vieldeutig ist und kein Dogma produziert und dass sie in dieser Vieldeutigkeit Anknüpfungspunkte für unterschiedliche Menschen und soziale Erfahrungen bietet. Ihr Nachteil ist, dass sie “ästhetischer Schein” bleibt und gegenüber den realen Verhältnissen ohnmächtig bleibt. Doch wird auch diese Grenze durch die Autonome Skulptur von Jae Pas und den HausbesetzerInnen gesprengt. Das Kunstwerk hat durchaus real Auswirkungen. Eine Partei, die in Münster zur Kommunalwahl antritt hat einige Forderungen der Hausbesetzer nach dem Erhalt der Häuserzeile in der Grevenerstraße bzw. nach Einrichtung eines Sozialen Zentrums in ihr Kommunalwahlprogramm übernommen. Ein Stadtrat, zugleich Verwaltungsratsmitglied der Münsteraner Wohn- und Stadtbau, diskutierte bis 2:00 Uhr Morgens mit den Hausbesetzern. Wäre er gekommen, wenn es sich um einen linken Szenetreffpunkt handelt?  Kunst wird hier zur Reflexionsform sozialer Auseinandersetzungen und zur Gestaltung neuer sozialer Wirklichkeiten – sie ist reflexiv und konstruktiv zugleich.
Noch etwas anderes leistet die Autonome Skulptur: Sie bringt Menschen aus unterschiedlichen sozialen und politischen Millieus, die oft meilenweit voneinander entfernt sind, miteinander ins Gespräch. Die Ausstellung zieht sowohl Punker an, die sich das ganze mal ansehen wollen, aber eben auch den Münsteraner Bildungsbürger. Aufgrund unterschiedlicher sozialer Erfahrungen und verschiedener Lebensstile und Alltagsästhetik fehlt zwischen den Millieus oftmals jeder Austtausch über die Gestaltung der Lebensverhältnisse, ein Schweigen, dass für die Demokratie nicht gut ist. Kunst hat das Potential zu einem Begegnungsort von Menschen mit unterschiedlichsten Orientierungen und Lebensstilen zu werden. Auch die Künstler von Jae Pas haben mit dem “Kapitalismus” ürbigens so ihre Erfahrungen. Der Kunstmarkt sei vollkommen Irrational, sagen sie. Die künstlerische Qualität und die bezahlten Preise stünden oft in keinem Verhältnis. Mit der Autonomen Skulptuer ist es ihnen jedenfalls gelungen, so meine ich, der Kunst diesseits ihrer Warenform einen Gebrauchswert für die Stadtöffentlichkeit zu geben.


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