RAUMÄNDERUNG Exzellenzbegriff, Eliteuniversität und die Spaltung der Gesellschaft – Eine Kritik an der Reproduktion sozialer Eliten im gegenwärtigen Hochschulsystem (und eine Reflexion über den Sinn der Wissenschaft)

Schon immer war die Universität ein Ort, an dem bürgerlich-akademische Eliten ihre Privilegien von Generation zu Generation reproduzieren konnten. In den 70gern Jahren stieg der Anteil studierender Arbeiterkinder, der 1960 nur bei 5% lag, allerdings stark an, um anschließend wieder zu sinken und sich auf einem niedrigem Stand einzupendeln.
Gleichwohl begegnen sich an der heutigen Universität Studierende mit ganz unterschiedlichen sozialen Herkünften, Interessen und auch unterschiedlichen beruflichen Chancen. Während  in den hohen sozialen Milieus das ökonomische und kulturelle Kapital vorhanden ist, um nach dem Studium in Führungspositionen zu gelangen, verfügen Studierende aus Arbeiterfamilien oftmals über weniger Auslandsaufenthalte, Fremdsprachenkenntnisse, Praktika und vor allem kaum über ein soziales Netzwerk, um einen Beruf auf ihrem Qualifikationsniveau zu finden. Ähnliche Mechanismen treffen auf die wissenschaftliche Laufbahn zu:  Lehre und Forschung sind weitestgehend durch die Selbstrekrutierung des akademischen Herkunftsmilieus geprägt.
Dieser ohnehin problematische Trend, von Bildungssoziologen schon lange kritisiert, wird nun durch Begriffe und Strukturen wie „Eliteuniversität“ und“ Exzellenzcluster“ noch verschärft. Der Soziologe Michael Hartmann etwa befürchtet für die Zukunft, dass auch Berufschancen vom Besuch einer  „Eliteuniversität“ abhängen: Eine Hierarchisierung der Universitäten untereinander ist das Ziel der Bildungspolitik. Wissenschaftliche Arbeitsbereiche, die sich gegenüber anderen als exzellent und elitär abgrenzen, verstärken zudem die Selektionsmechanismen, die an einer Universität ohnehin vorhanden sind. Insbesondere im Zugang zur wissenschaftlichen Laufbahn verschärft sich die soziale Selektion dramatisch.
Dies hat auch damit zu tun, dass der Inhalt der Wissenschaft immer mehr ausgehöhlt wird und nur noch funktionale – keine kritischen – Anforderungen widerspiegelt.  Auf der sozialen Ebene wird Wissenschaft, vor allem Sozial- und Geisteswissenschaft, tendenziell nur noch das Medium der Selbstreproduktion eines höheren akademischen Milieus – ohne Gebrauchswert für die Gesellschaft und ohne emanzipatives Erkenntnisinteresse.
Die Formalisierung der Studienstruktur und der wissenschaftlichen Arbeit ist im Grunde gegenüber jedem Inhalt neutral. Gerade Studierende aus Arbeiterfamilien oder überhaupt Studierende mit substantiellen wissenschaftlichen Interessen vermissen an der gegenwärtigen Universität das, was mal mit dem Begriff „Bildung“ bezeichnet wurde.  Ist die Idee eines Leitungswettbewerbs ohne Weiteres auf Sozial- und Geisteswissenschaften anwendbar? Geht es bei Exzellenzinitiatve und Eliteunis wirklich um die wissenschaftlich-inhaltliche Leistung mit gesellschaftlicher Relevanz oder kommt es heutzutage eher darauf an Leistung symbolisch auszudrücken und zu inszenieren? Handelt es sich um ein „performatives Leistungsverständnis“, wie der Soziologie Sighard Neckel sagt, bei dem vor allem darauf ankommt „gut auszusehen“? Bleiben wichtige gesellschaftliche Fragen etwa die nach der Emanzipation benachteiligter Bevölkerungsgruppen, der Integration von Migrantinnen und Migranten, Fragen nach der Ausgestaltung einer lebendigen Demokratie und der Gestaltung einer sozialen und ökologischen Zukunft in verantwortungsloser Weise unbeantwortet? Und nicht zuletzt: Kann man sich einen Philosophen vom Format eins Adorno oder Habermas wirklich als Produkt eines Exzellenzclusters und einer formalisiert-verschulten Universität vorstellen?
In dem Vortrag sollen also mehrere soziologische und wissenschaftstheoretische Aspekte der gegenwärtigen Universitätslandschaft untersucht werden.
Zugleich wollen wir bestimmen, wie Freiräume für eine Universität als Ort der „Freiheit und Wahrheit“ (Fichte) und des notwendigen kritischen Bewusstseins über die Gesellschaft aufrecht erhalten werden kann.

Referent: Tobias Fabinger, Erziehungswissenschaftler M.A.

 

Ort Hörsaal SCH 122.201, Scharnhorststraße 122, Münster

 

In Zusammenarbeit mit der AStA Projektstelle “Kritische Hochschulstudien”


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